Agrarwende jetzt! Mensch vor Profit




Auch die Umwelt ist schlachtreif:
Ein zusätzlicher Wahnsinn der Massentierhaltung! → Mehr Informationen


Interview mit Prof. Dr. Klaus Buchner, Europa-Abgeordneter, ÖDP zum Thema Agrarwende jetzt, bevor es zu spät ist


Herr Prof. Buchner, ich zitiere aus dem aktuellen Weltagrarbericht:
„Rund 800 Millionen Menschen hungern auf diesem Planeten, während 1,9 Milliarden an Übergewicht und krank machender Fettleibigkeit leiden. 2,5 Milliarden Tonnen Getreide wurden 2016 weltweit geerntet, mehr denn je zuvor. Doch nur 43% des Getreides dient als Lebensmittel. Der Rest wird zu Tierfutter, Sprit und Industrierohstoffen verarbeitet. Unser Ernährungssystem ist eine der wichtigsten Ursachen für den Klimawandel, das Artensterben, für Umweltverschmutzung, Wasserknappheit, vermeidbare Krankheiten, Kinderarbeit, Armut und Ungerechtigkeit.“ Ende des Zitats.

Es ist in der Tat alarmierend was hier hunderte von Wissenschaftlern an Irrwegen zusammen getragen haben. Die Landwirtschaft ist definitiv am Scheideweg.
Hier besteht erheblicher Handlungsbedarf, ein weiter wie bisher hätte für uns alle katastrophale Folgen.


Können Sie uns das erläutern und auf die Missstände näher eingehen?

Es besteht seit längerem ein zunehmender Trend zu großen internationalen Agrarkonzernen mit gewaltigen Monokulturen bis zum Horizont. Dadurch bedingt haben wir weltweit ein exzessives Höfesterben der kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe.
Saatgut war früher öffentliches Gut und stand den Landwirten zur Verfügung.
Bereits seit der Mitte des letzten Jahrhunderts wurden großindustriell neue Hochleistungssorten auf den Markt gebracht mit einem gleichzeitig rasanten Anstieg des Einsatzes von Pestiziden und Dünger.
Vor dreißig Jahren begann die zunehmend gentechnische Züchtung und Produktion.
Großunternehmen erhielten hier exklusive Patente, nicht nur auf Gentechnik, sondern auch auf herkömmliche Züchtungen.
Mittlerweile kontrollieren drei Großunternehmen (Monsanto, DuPont Pioneer und Syngenta) über 50% des Weltmarktes an geschütztem Saatgut und beherrschen gleichzeitig das Pestizidgeschäft. Vor kurzem hat die EU-Kommission den Verkauf von Syngenta an einen chinesischen Konzern genehmigt und wird vermutlich auch dem Verkauf von Monsanto an Bayer zustimmen.

Unsere Böden werden durch diese gigantischen Monokulturen und die systembedingte erforderliche steigende Düngung und Pestizidanwendung zerstört. Die Artenvielfalt auf unseren Äckern geht dadurch dramatisch zurück mit erheblichen Folgen. Dieser Artenkollaps bei Pflanzen und nützlichen Kleintieren wie z.B. Insekten, Würmern und Bienen führt direkt zum Ökokollaps der Böden und Gewässer.
Das lebensnotwendige ökologische Gleichgewicht auf unserem Planeten wird dadurch zunehmend zerstört.

Die vor kurzem publizierte große Studie „Rote Liste gefährdeter Lebensräume Europas“ (Jansen J et al. (2016) European Red List of Habitats) zeigt eindeutig die Brisanz der Entwicklung:
Ein Drittel aller ökologischer Lebensräume in Europa sind bedroht!
In der Zusammenfassung der Studie wird betont: „Die Haupteinflüsse und -bedrohungen variieren je nach Lebensraum, doch insgesamt sind verschiedene landwirtschaftliche Aktivitäten die weitverbreitetste und größte Gefahr für Europas terrestrische und Süßwasserlebensräume“.


Inwieweit spielt hier die Industrielle Massentierhaltung eine zentrale Rolle?

Ackerland dient nicht zum größeren Teil zur Produktion von Lebensmitteln, sondern zur Produktion von Tierfutter für die Industrielle Massentierhaltung, zur Produktion von Sprit und zur Produktion von Industrierohstoffen, wie Sie ja bereits aus dem Weltagrarbericht zitiert haben. Alleine diese Tatsache ist völlig absurd und ernährungspolitisch ein folgenschwerer Fehler. Fleisch ist mittlerweile Lebensmittelverschwender Nummer eins, der größte Teil der Äcker weltweit dient der Tierfutterproduktion.
Laut Statischem Bundesamt wurde 2016 in Deutschland so viel geschlachtet wie noch nie zuvor! Völlig am Bedarf vorbei! Die deutschen Bürger benötigen diese Unmengen gar nicht, zumal auch zusätzlich der Fleischkonsum in Deutschland erfreulicherweise immer mehr nachlässt. Es wird also sehr viel für den Export produziert, unter Inkaufnahme sämtlicher massiver Folgen der Industriellen Massentierhaltung. Und hier haben wir es ja nicht nur mit der Zerstörung des Ökosystems und der unsäglichen Tierquälerei zu tun, sondern auch mit den zunehmenden Antibiotika-Resistenzen und den sogenannten Krankenhauskeimen aus dem Massentierstall.


Können Sie noch etwas näher eingehen auf die tödlichen Krankenhauskeime
aus dem Massentierstall.

Gerade hier wird ganz klar, dass dringend eine Veränderung der Lebensmittelproduktion erforderlich ist. Zig tausende von Menschen sterben bereits jährlich in Europa an den Folgen von Antibiotika resistenten Keimen und man kann davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher liegt. Da die Problematik im Krankenhaus (oder auch in Pflegeheimen) auftritt, spricht man im Allgemeinen von „Krankhauskeimen“, obgleich die Ursache nur zu einem Teil hier liegt.
Wesentliche Ursache ist die Industrielle Massentierhaltung! Es werden hier erhebliche Mengen an Antibiotika verwendet. Hinzu kommen noch die illegalen Grauimporte aus anderen Ländern. Im Gegensatz zur Humanmedizin - wo sicherlich auch nicht indiziert Antibiotika verabreicht werden - erfolgt in der Massentierhaltung die Verfütterung von Antibiotika prophylaktisch an gesunde Tiere. Im Laufe von Jahren sind durch diese immensen Antibiotikagaben immer mehr Bakterienarten resistent gegen Antibiotika geworden. Jetzt auch noch zunehmend gegen die hoch potenten und für die Menschen lebenswichtigen sog. Reserveantibiotika. Denn auch diese Reserveantibiotika werden in der Massentierhaltung eingesetzt! Das gehört auf der Stelle verboten!

Die Antibiotika resistenten Killerkeime werden über Kontakte von Tier auf Mensch – und umgekehrt – übertragen, außerdem geraten sie auch in die Umwelt, wie z.B. durch die Gülle und damit sogar auf vegetarische Produkte.
Letztendlich spielt es auch keine Rolle mehr woher diese resistenten Bakterien kommen, da die Resistenzprobleme sich unter den Bakterien austauschen.

Ich möchte Ihnen exemplarisch Zahlen zu dem bekanntesten multiresistenten Keim MRSA nennen:
Das Hygiene Institut der Universitätsklinik Münster führt in einer Publikation – unter Berücksichtigung div. Studien – folgende Zahlen für MRSA-Träger auf (Abstrich aus der Nase):
80-90% der Schweinehalter!
Bis zu 45% der Tierärzte!
Hingegen ist die übrige Bevölkerung in Deutschland, ohne regelmäßigen Tierkontakt oder beruflichen Kontakt mit MRSA-Trägern unter fünf Prozent betroffen. Daraus geht ganz eindeutig hervor, dass die Problematik insbesondere aus den Tierställen der Massentierhaltung kommt.
Alle Geschäftspartner gewinnen an dem Einsatz von Antibiotika: Die großindustriellen Fleischproduzenten, die marktbeherrschenden tierärztlichen Großpraxen und die Pharmaindustrie. Nur Mensch, Tier und Umwelt bleiben außen vor.


Das ganze klingt ja nach „Profit vor Mensch“

Unser Anliegen muss natürlich genau umgekehrt heißen „Mensch vor Profit“.
Ich sehe daher nur einen vernünftigen Weg. Wir müssen gemeinsam zu einer regionalen Verarbeitung und Vermarktung qualitativ hochwertiger Produkte kommen.
Unser aller Konsumverhalten bezüglich Lebensmitteln muss auch bewusster werden. Das Wort „Lebensmittel“ muss wieder seine eigentliche Bedeutung in unserem Bewusstsein bekommen.
Hinzu kommt ja auch noch die immense Lebensmittelverschwendung als zusätzliches großes Problem. Sehr viel landet in der Mülltonne. Nicht nur in den Familienhaushalten, sondern auch in Kantinen, Hotels und Gaststättenbetrieben, Kliniken, etc. Hier besteht auch ein erhebliches Einsparungspotential an den Ressourcen Ackerland, Wasser, Energie und Umwelt.


Was muss nun Politik und Gesellschaft unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen?

In der Politik wird zwar in letzter Zeit viel geredet über Ökolandbau, auch vom Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt. Außer vagen Zielmarken wie „mittelfristig“ oder „zu Lebzeiten“ 20% ökologischer Landbau kommt nicht viel an politischer Entscheidung und gesetzlichen Rahmenbedingungen rüber. Abgesehen davon war die Zielmarke von 20% bereits im Jahr 2002 (!) von der Bundesregierung proklamiert worden. Zur Zeit haben wir in Deutschland etwa 10% ökologisch geführte Landwirtschaftsbetriebe. Wir brauchen natürlich dringend eine wesentlich höhere Zielmarke hin zum 100%igen Ökolandbau und schnellstens entsprechende gesetzliche Maßnahmen, um dort zügig hinzukommen. Es ist bereits sehr spät, hoffentlich nicht zu spät!

Politik muss gegen die mächtige Lobby der internationalen Agrokonzerne einschreiten und eine Demokratisierung der Lebensmittelproduktion erwirken. Ökologische bäuerliche Betriebe müssen effektive gesetzliche Rahmenbedingungen erhalten. Den schädlichen Massenprodukten muss Einhalt geboten werden.
Es kann ja nicht sein, dass die Bäuerliche Landwirtschaft abhängig gemacht wird von den großen Agrarkonzernen, indem sie zum Abnehmer von Saatgut, Pestiziden und Düngemittel gemacht wird. Der Saatgutmarkt wird weltweit durch sehr wenige Großkonzernen kontrolliert. Pestizide und Dünger werden gleich mitgeliefert.


Aktuell wird es ja zur Übernahme von Monsanto von Bayer kommen,
können Sie uns dazu etwas sagen?

Die anstehende Übernahme von Monsanto (Preis 66 Milliarden Euro!) durch Bayer führt zu einer noch größeren Weltmarktbeherrschung von Saatgut und Pestiziden!
Das von Monsanto vertriebene Pestizid Glyphosat – welches weltweit Anwendung findet - steht weiterhin am Pranger. Die Studien hierzu sind äußerst fraglich und auch widersprüchlich. Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC) schätzt den Stoff im Gegensatz zu Behörden als möglicherweise krebserregend ein.
Gerade veröffentlichte E-Mails legen außerdem den Verdacht nahe, dass Monsanto-Mitarbeiter als Ghostwriter an Studien mitgeschrieben haben (Süddeutsche Zeitung vom 2. April 2017). Hinzu kommt, dass das eigentliche auf den Äckern angewandte Endprodukt Roundup (Glyphosat mit den Zusatzstoffen) offensichtlich gar nicht auf eine krebsfördernde Wirkung untersucht wurde. Sie sehen am Beispiel des Pestizids Glyphosat wie die Dinge rücksichtslos ablaufen.
Unabhängig von einer krebserregenden Wirkung sind die hochgradig negativen Belastungen auf unser Ökosystem ganz offensichtlich.


Wie sieht nun der Lösungsweg hin zu einer ökologischen Agrarwirtschaft aus?

Eine zu fordernde Agrarökologie benötigt unbedingt eigenes bäuerliches Saatgut für die regionale Landwirtschaft.
Agrarökonomie muss also dringend auf die politische Agenda!
Wir müssen weg von gigantischen Monokulturen, Agrochemikalien und Gentechnik.
Wir müssen auch weg von der Industriellen Massentierhaltung.
Der Mensch muss der Maßstab sein und nicht der Profit der Großkonzerne.

Hierzu ist die Gründung von Initiativen durch lokale Politiker unter Einbeziehung von lokalen Landwirten, lokalen Experten der Agrowissenschaften, der lokalen Wirtschaft und der Verwaltung erforderlich. Diese Gruppe sollte gemeinsam das Problem für die Region angehen und auch umsetzen. Derartige lokale Initiativen mit Erfolg gibt es bereits vereinzelt weltweit, jedoch in einem nur sehr geringen Ausmaß. In Frankreich ist man schon weiter fortgeschritten. Es gibt dort bereits in sämtlichen 26 Regionen die sog. „Solidarökonomie“ unter der Regie einer eigenen Staatssekretärin.
Es müssen also politische Rahmenbedingen geschaffen werden, welche in allen Regionen diese Vernetzungen unterstützen.
Die Politik muss auch Rahmenbedingungen schaffen für die wissenschaftliche Erforschung von besserer regionaler Agrarökologie. Agrarökologische Bauernschulen müssen installiert werden.
Bauernhöfe müssen sich lokal zusammenschließen bzw. vernetzen.
Saatgut sollte in bäuerlicher Hand sein, am besten durch Zusammenschluss zu regionalen Genossenschaften. Kein kommerzielles Saatgut mehr, welches ja meist auch genmodifiziert ist.
Man kommt dadurch zu einer gemeinsamen regionalen Verarbeitung und Vermarktung qualitativ hochwertiger Produkte.
Ich betone nochmals, Saatgut sollte in bäuerlicher Hand sein und nicht patentrechtlich bei den großen Agrokonzernen.
Hier besteht übrigens ein völliges Versagen der Politik und des Europäischen Patentamtes.


Es ist also ein grundsätzliches Umdenken und Handeln erforderlich.

Genau! Die gesamte Gesellschaft ist gefordert. Gemeinsames Handeln aller ist notwendig.
Auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Kliniken und Kantinen von diversen öffentlichen Einrichtungen müssen vorangehen und nur Produkte aus lokalen bäuerlichen Betrieben unterstützen, um die Nachfrage auch anzukurbeln.
Der Verbraucher muss außerdem durch eine gesetzlich detaillierte Kennzeichnungspflicht der Lebensmittel genau ins Bild gebracht werden, was er auf den Teller bekommt. Nur so kann er bewusster handeln und sollte dies auch zu seinem eigenen Vorteil tun.

3 Gedanken zu „Agrarwende jetzt! Mensch vor Profit

  1. Um die Massentierhaltung wirksam zu vermindern, muss es einen Bewußtseinswandel geben, weniger Milchprodukte, Eier und Fleisch zu essen. Das geht aber nur, wenn vegetarische Produkte leicht verfügbar sind und sie besser schmecken und leichter verdaulich sind.
    Es geht nicht an, dass man erst mühsam Hülsenfrüchte einweichen muss.

  2. Ich unterstütze als zahlendes Mitglied einen gemeinschaftsgetragenen Bauernhof in Südbaden, den Luzernenhof.
    Das Prinzip ist einfach: Man wird Mitglied für ein Jahr und verpflichtet sich zu einem festen Beitrag. Der Hof kann so
    sicher planen für ein Jahr. Dafür bekomme ich eine Vielfalt an Gemüse, Salat, Getreide in Bioland bis Demeter-
    Qualität. Der Hof hat Kühe und Schweine; betreibt artgerechte Tierhaltung. Eine Käserei ist auch dabei und eine
    Imkerei, sowie ein Obstgarten (Äpfel, Kirschen, Apfelsaft). Die Mitgliedsgemeinschaft trägt den Hof und bezahlt das
    Hofteam. Die Kühe stehen den ganzen Sommer auf der Weide, werden auch dort gemolken. Sie bekommen nur Gras,Heu und Silage, nichts anderes. Die Schweine haben einen gemütlichen Stall mit Unterschlupf, und einen Außen-Freilauf. Sie bekommen auch Gras, Kartoffelschalen, Gemüsereste, Salatreste und Molke. Auf die Äcker kommen keine Gifte, nur natürlicher Pflanzensud, Hornmist, und es wird Dreifruchtwirtschaft und Gründüngung betrieben. Damit Bauern ihre Höfe so betreiben können, brauchen sie eine faire Bezahlung! Faire Preise für ihre Lebensmittel! Dafür bekommen wir aber hochwertige, gesunde Nahrungsmittel, Fleisch und Milchprodukte von
    zufriedenen und gesunden Tieren. Unsere Umwelt dankt es, und die Bauern haben wieder ein gutes Auskommen und einen schönen Arbeitsplatz!

  3. Einstein: „Stirbt die Biene, stirbt auch der Mensch!“
    Nun, durch die Massentierhaltung wird auch rigoroser und rücksichtsloser auf den Ackerflächen mit Pestiziden umgegangen, wodurch nicht nur ein Massensterben bei den Zuchtbienen eingesetzt hat, sondern bei allen anderen Insekten, und damit die gesamte Ökologie mit Vögeln und anderen Tieren unrettbar eingesetzt hat.
    Die Pestizide sind überwiegend Nervengifte, welche nicht mehr aus den Böden entfernt werden können und somit auch nicht aus dem Versorgungskreis für Menschen und Tiere. Es ist zu vermuten, dass die Wirkung auf das menschliche Gehirn auch für den radikalen Anstieg von Alzheimer verantwortlich ist.
    Besonders wütend macht, dass dann die verantwortliche Pharmaindustrie auch noch daran verdient.

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